Geschichten
Ein
Karmann Ghia bekommt nach Jahren Besuch...
Plötzlich
hörte ich aus der Ferne ungewohnte Geräusche. Konnte es wirklich sein? Wie
lange habe ich so etwas schon nicht mehr gehört! Aufmerksam lauschte ich
den immer lauter werdenden Stimmen. Nein, ich hatte mich nicht getäuscht,
die Stimmen wurden immer lauter und schienen auf mich zuzukommen. Ein
lautes knacken und quietschen bestätigte das, was ich so sehr erhofft
hatte. Es kam jemand zu mir. Ich hörte wie jemand sagte: „Sie müssen
entschuldigen, aber wir haben hier seit Jahren nicht mehr sauber gemacht,
aber hier ist das gute Stück.“ Dabei zeigte er mit ausgestreckter Hand
auf mich. Gespannt hörte ich, was sie über mich sagten. Einer sagte:
„Das sieht aber gar nicht gut aus“, während er auf mir herum klopfte.
Überall spürte ich seine Finger. Nun fingen sie an über Spaltmaß zu
sprechen, poröse Dichtungen, sogar meine Seitenschweller seien angegriffen
und müssten geschweißt werden. Nichts
wurde vergessen! Jedes Detail an mir wurde begutachtet. Als sie fertig
waren, fühlte ich mich noch schlechter als sonst in den Jahren zuvor. Da
hatte ich wenigstens noch meine Träume. Nicht die geringste Kleinigkeit
schien ihnen an mir zu gefallen. Sicherlich
meine Farbe hat in all den Jahren an Glanz verloren und das ein oder andere
Teil an mir sollte erneuert werden. Aber durften sie so über mich sprechen?
Mir jedes Gefühl der Selbstachtung nehmen? Den Stolz den ich seit fast 50
Jahren verkörperte? Nein, das durften sie nicht und ich beschloss mich zu rächen. Es
wurde plötzlich heller und erschrocken blickte ich in einen grauen Himmel
voller Wolken. Das schwere Holztor stand weit offen und ich wurde in einen
großen mit alten Steinen gepflasterten Hof geschoben. Ein kräftiger Mann
mit dunklen Haaren setzte sich zu mir, trat meine Kupplung und drehte
vorsichtig am Zündschlüssel. Der Moment meiner Rache war
gekommen, viel schneller als ich
zu hoffen wagte. Es
sollte anders kommen. Hätte ich geahnt, was mich erwartet und was sie alles
mit mir vorhaben, ich wäre nicht sofort angesprungen. Ich hätte mich mit
lautem Krächzen geweigert, bis zum letzten Ton aus meiner nicht mehr ganz
jungen Batterie. Aber nun war es zu spät und ich musste mich meinem
Schicksal fügen. Kurz
danach wurde ich verladen und abtransportiert. Noch
bevor ich mir darüber klar werden konnte, ist es passiert! Der Mann mit den
dunklen Haaren schnappte sich den Schraubenschlüssel ich konnte die Zahl 36
erkennen und bekam Angst. Er fing an mich zu zerlegen. Teil für Teil von
mir wurde abgebaut, in blauen Tonnen „entsorgt“, in kleinen Kisten mit
großen Zahlen und Buchstaben verstaut. Ohne
zu verstehen, was mit mir da passierte war ich der ganzen Tortur hilflos
ausgeliefert. Viele Wochen vergingen so. Mal wurde ich mit Sand beworfen,
mal haben sie mir „Feuer unter dem Hintern gemacht“, dann wieder wurde
ich geölt und gefettet. Es
gab Momente, da stellte ich mich stur! Wollte einfach nicht so wie der neue
Besitzer es sich dachte, auch nicht als er noch einen Kollegen um Hilfe bat.
Ich weigerte mich einfach. Ich wollte nicht so passen und funktionieren wie
sie es wollten. Niemand hatte mich gefragt, ob ich das alles wirklich
wollte. Schraube für Schraube zerlegt werden, neue Dichtungen bekommen,
meine Seitenschweller richten, die Heizkanäle erneuern. Selbst die Spaltmaße
wurden überarbeitet. Das Schlimmste aber für mich war, was sie zwischendurch mit mir machten. Mein
Dach wurde abgetrennt und gänzlich entfernt. Auch
wusste ich, das meine Farbe schon etwas verblasst und stumpf war, doch
dieses zarte „perlweiß“ hatte noch seinen Charme und ich fühlte mich
wohl mit dieser Farbe. Was
von jetzt an geschah, war Balsam für meine geschundene Karosserie. Ich
wurde gestreichelt, geputzt, poliert, bekam neue weiche Lederbezüge. Die
alten zerschlissenen Stoffbezüge landeten in der blauen Plastiktonne wo
schon die maroden Dichtungen ihren Platz gefunden hatten. Jetzt
kamen immer öfter freundliche und höfliche Menschen, die mich lobten und
nette Komplimente machten. Ein
kleiner Hoffnungsschimmer erwachte in mir, als ich etwas von einer
Probefahrt und einem IG-Lippe-Treffen hörte. Sollte
es wirklich wahr sein? Konnte ich darauf hoffen? Wie viele Jahre war es her,
dass ich niemanden mehr getroffen habe. Gab es noch viele wie mich? Wie
sahen sie aus? Haben sie sich auch verändert, wurden sie auch gequält?
Wurde auch an ihnen geschraubt und gebastelt? Wie viele haben die Zeit überlebt? Ganz
in meinen Gedanken versunken bemerkte ich nicht, dass jemand gekommen war
und erschrak als der Mann mit den dunklen Haaren sich zu mir setzte.
Inzwischen wusste ich, dass er Werner hieß und einer der Gründungsväter
der Karmann Ghia IG Lippe ist. War heute schon der Termin, heute das
Treffen? Ich hatte in meinen Träumen vollkommen die Zeit vergessen. Endlich
ging es los, der große Tag war gekommen. Alte und neue Freunde treffen. Nach
2 Stunden waren wir da, und ich traute meinen Scheinwerfern nicht, was ich
dort sah. Karmann an Karmann standen sie dort. Jeder schöner als der
andere. In vielen bunten Farben, alle glänzend und fast wie neu. Das Beste
aber war, viele in einem wunderschönen Rot so wie ich. Elegant und stolz
konnte ich mich präsentieren und wurde bewundert. Ich spürte, es sollten
noch viele schöne Tage wie dieser kommen. |
|